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Eröffnung: 25. April 2009, 11 Uhr

COLOSSAL ist die Kunstausstellung zum Jahr der Varusschlacht. Sie wird kuratiert von Jan Hoet und entsteht in Trägerschaft des Landschaftsverbandes Osnabrücker Land e.V., Bad Iburg. Zeitgleich veranstalten drei weitere Institutionen historische angelegte Ausstellungen. Unter dem gemeinsamen Motto „Imperium Konflikt Mythos“ setzt jedes dieser Projekte unterschiedliche Schwerpunkte: Das Museum Kalkriese befasst sich mit den historischen und archäologischen Aspekten der Varusschlacht, Detmold mit dem Mythos von Hermann dem Cherusker und Haltern mit der römischen Militärgeschichte.

Jan Hoet macht das historische Thema zum Anlass einer großflächig angelegten Kunstausstellung im öffentlichen Raum. In einem Gebiet zwischen Osnabrück im Süden, Bramsche im Nordwesten, Kalkriese im Norden und Bad Essen im Osten zeigt er auf dem ehemaligen Schlachtfeld sowie auf zahlreichen Bauern- und Gutshöfen aktuelle Kunst, die sich mit den geschichtlichen Ereignissen und ihren aktuellen Bezügen befasst.

Das Konzept der Ausstellung vermeidet ganz bewusst die nationalstaatlich motivierte, himmelwärts blickende Heldenverehrung, wie sie sich noch heute am Hermannsdenkmal bei Detmold zeigt. Stattdessen wird der Betrachter in die Tiefe des Raumes des ehemaligen Schlachtfeldes und seiner Umgebung hineingezogen. Die eindimensionale Heldendarstellung wird abgelöst durch eine Vielfalt an Perspektiven und Fragestellungen, die 18 Künstler aus unterschiedlichsten Ländern aufwerfen. Zum einen richtet sich der Blick in die Vergangenheit, auf die neuen Fakten zur Schlacht zwischen den Truppen des Arminius und des Varus, sowie auf die historisierenden Fiktionen über Hermann den Cherusker. Zum anderen richtet sich der Blick in die Zukunft auf die möglichen weiteren Entwicklungen. Neben diesen Fragen nach Vergangenheit und Zukunft geht es den Beteiligten auch um Auseinandersetzung, Krieg und Konflikt an sich.

So setzt der Portugiese Pedro Cabrita Reis Türme in die idyllische Hügellandschaft. Wo heute eine Straße einem alten Fernweg durch Wälder und Wiesen folgt, stehen sie plötzlich unübersehbar am Wegesrand. Assoziationen an militärische Bauwerke entstehen, aber auch materielle und formale Bezüge zum neuen archäologischen Museum in Kalkriese werden hergestellt. Reis prüft visuell die aktuelle Faktenlage einer Schlacht an diesem Ort und hinterfragt somit die historisierende Fiktion von der Schlacht am Teutoburger Wald. Dabei geht es ihm nicht um faktisch genaue Rekonstruktion. Bei näherer Betrachtung der Türme zeigt sich, dass diese weder Zugang noch Ausguck haben und damit nicht funktional festgelegt sind: Wachtturm, Befestigungsturm oder Wohnturm? Sie bleiben mehrdeutig.

Wim Delvoye wickelt schlangenartige Gebilde um Bäume am Wegesrand. Durch die Doppelung links und rechts vom Weg ergibt sich ein torartiger Charakter. Formal handelt es sich ebenso um verzerrte Kruzifixe, wie auch um Ranken. Sicher scheint nur, dass hier zwei unterschiedliche Formen – Baum und Ranke – eng umschlungen miteinander ringen. Mit offenem Ausgang.

Die ganze Komplexität des Themas Varusschlacht umfasst Rui Chafes in seiner ironischernsthaften Arbeit „Was erschreckt Dich so?“. In Anlehnung an Kleists Stück „Hermannsschlacht“ und die dort von einem römischen Legaten geklaute blonde Locke der Thusnelda, schnitt er bei einem Workshop in Kalkriese einer Museumsmitarbeiterin eine dunkle Haarsträhne ab. Nach dieser Vorlage fertigte er eine Stahlskulptur von poetischer Schönheit, die zwischen mehreren Bäumen im Park von Schloss Ippenburg aufgehängt wird. Dieses Spiel mit populistischer Zuordnung von Herkunft und Haarfarbe deckt Identifikationsprozesse auf. Es ist eben nicht so, dass im Süden nur dunkle Haare zu finden wären und im Norden nur blonde Haare. Durch den Titel wendet sich die Arbeit aber eindeutig ins Grausige, denn der Text „Was erschreckt Dich so?“ gehört bei Kleist zu den letzten Worten, die Thusnelda dem Legaten zuruft, nachdem sie ihn zu „der zottelschwarzen Bärin von Cheruska“ in den Käfig sperrt und damit tötet. Der theaterhafte Untergang bei Kleist wird somit in Bezug gesetzt zum realen nicht weniger tragischen Untergang der Legionen bei Kalkriese.

Der Chinese Yue Minjun spielt mit der zeitlichen Perspektive und lässt im Jahr 3009 einen Chinesen mit der Sonde des britischen Offiziers, der die archäologischen Ausgrabungen in Kalkriese auslöste, über die Felder ziehen. Während wir 2000 Jahre lang zurückgeblickt haben und heute über die Vergangenheit mehr wissen als noch vor hundert Jahren, weist Yue Minjun mit einer neuen Frage in die Zukunft: Wer wird in 1000 Jahren hier nach der Geschichte suchen?

So eindeutig der Nationalmythos von Hermann dem Cherusker war, so komplex sind die Zusammenhänge der historischen Fakten und der zustande gekommenen historisierenden Fiktionen. Die Ausstellung begegnet dieser Komplexität durch eine Vielzahl künstlerischer Positionen. Diese Vielfalt entspricht der Struktur unserer multimedial und multinational verknüpften Gesellschaft. Aus einer zusehends an Bedeutung gewinnenden europäischen Perspektive scheint heute das Thema der germanischen Befreiungsschlachten keine Aktualität mehr zu haben. Dennoch sind der Nationalmythos und die bekannten Fakten in der Bevölkerung überraschend präsent und umstritten. Tatsächlich begegnen sich hier zwei konfliktträchtig Haltungen zum Thema: Die einen sind mental im zusehends vereinten Europa angekommen. Für sie ist das Jahr der Varusschlacht ein Termin im historischen Merkkalender, den man nicht feiert, sondern als exemplarisch für die kriegerische Geschichte Europas nimmt, die dank der Europäischen Union endgültig überwunden scheint. Für die anderen ist es noch immer der wichtigste nationale Gründungsmythos, die entscheidende Schlacht, die Germanien die Freiheit brachte und sich jahrhundertelang auf die Geschichte Europas auswirkte. Aus Arminius, der germanischen Geisel, die in Rom Karriere machte, wurde Hermann der Cherusker erdichtet: ein Befreier, der zum Nationalhelden verklärt wurde.

In unserem heutigen Umgang mit dem Erinnern an die Varusschlacht zeigt sich ein aktuelles Bild unserer Gesellschaft. Die Ausstellung legt durch die vielfältigen Standpunkte der Künstler ein Zeugnis unserer pluralistischen Gesellschaft ab, verweist aber gleichzeitig auf die noch immer bestehende Aktualität des Themas, da Krieg, Hegemonie und Selbstbehauptung unsere Welt nach wie vor prägen. Wir können das täglich in den Medien nachvollziehen. Die Ausstellung ist öffentlich zugänglich. Sie ist für Navigationsgeräte erschlossen und es gibt eine Landkarte. Nur die auf dem Gelände des Museums in Kalkriese aufgestellten Kunstwerke unterliegen den dortigen Öffnungszeiten, die im Anhang zu finden sind.

COLOSSAL – Kunst Fakt Fiktion wird maßgeblich gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die VGH Versicherungen.

Statements von Jan Hoet

Zum Konzept der Ausstellung:

„In der Schule haben wir in Geschichte immer nur die Daten der Kriege gelernt: Auf eine Schlacht folgte die nächste. So ging das immer weiter. Daran wird klar, dass es das schwierigste ist, eine Perspektive für die Zukunft zu finden.“

„Ich wollte für die Ausstellung einen Perspektivwechsel. Es geht nicht mehr um ein einzelnes Denkmal, sondern um das Nachdenken – um die vielen Perspektiven auf die Geschichte und unsere Gesellschaft. Das ganze Thema Varusschlacht hat so eine lange Tradition in Deutschland, dass man es schon gar nicht mehr richtig sehen kann. Alles ist verstellt, weil jeder weiß, wie es gewesen war – auch wenn keiner der Zeitzeugen es jemals beschrieben hat. Lange Zeit hat man vieles erfunden, bis alles so passte, wie man es für die große Erzählung vom Nationalstaat brauchte. Eigentlich ist dieses Thema ein großes Observatorium zur Beobachtung der Gesellschaft. Die Kunst steht mitten in dieser paradoxen Verbindung von Subjektivität und Objektivität.

Krieg, Landverteilung und Identität sind noch immer aktuelle Themen, genauso wie die daraus entstehenden Krisen und Erschütterungen. Nach einem Krieg weiß man eigentlich nie, wer wirklich gewonnen hat, weder damals noch heute.“

Zum Raum der Ausstellung: „Es gibt keinen Krieg ohne Bauernhöfe, deshalb wollte ich die auch mit in die Ausstellung hereinnehmen.“

„Mit dieser Ausstellung unter freiem Himmel will ich ein offenes ‚Denk-Mal’ setzen, das in einem Verhältnis zum Raum steht. Ich wollte das ganze Schlachtfeld mit dem Höhenzug, an dem die Legionen entlang marschierten, die gegenüberliegende Sumpfniederung und den Sperrwall der Germanen mit einbeziehen.“

Zum Titel: „Der Titel COLOSSAL ist ein Superlativ, ein Versuch etwas, das größer ist als die bestehende Sprache, zu bezeichnen. Wir assoziieren den Koloss von Rhodos – die skulpturale Gigantik, das Kolosseum in Rom – die Raum gewordene Gigantik. Das sind die immer neu geschaffenen Verhältnisse, denen die Sprache gerecht werden muss. In einer paradoxen Wendung fand das auch mit der Varusschlacht statt: Zum einen ist da erst der gigantische Versuch der Eroberung und völligen Umformung der germanischen Gesellschaft. Zum anderen folgt darauf die gigantische Katastrophe, die für das römische Imperium beispiellos ist. Deshalb ist der Titel auch etwas ironisch.“

Künstlerliste

Massimo Bartolini Italien Katinka Bock Deutschland/Frankreich Bazon Brock Deutschland Heinrich Brummack Deutschland Pedro Cabrita Reis Portugal Rui Chafes Portugal Wim Delvoye Belgien Fabrice Gygi Schweiz Wilfried Hagebölling Deutschland Anna Lange Niederlande Hans Lemmen Niederlande/Belgien Ives Maes Belgien Slava Nakovska Bulgarien Dennis Oppenheim U.S.A. Anette Rose Deutschland Fernando Sánchez Castillo Spanien Andreas Slominski Deutschland Susanne Tunn Deutschland Yue Minjun China

Katalog Zur Ausstellung wird ein zweisprachiger Katalog (Deutsch/Englisch) veröffentlicht, der im Museum Kalkriese und in den Buchhandlungen erhältlich sein wird. Die ausgestellten Werke werden vollständig mit Text und Abbildungen berücksichtigt.

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COLOSSAL
Kunst Fakt Fiktion
Ausstellung im öffentlichen Raum aus Anlass von 2000 Jahren Varusschlacht
Kurator: Jan Hoet

Künstler: Massimo Bartolini, Katinka Bock, Bazon Brock, Heinrich Brummack, Pedro Cabrita Reis, Rui Chafes, Wim Delvoye, Fabrice Gygi, Wilfried Hagebölling, Anna Lange, Hans Lemmen, Ives Maes, Slava Nakovska, Dennis Oppenheim, Anette Rose, Fernando Sanchez Castillo, Andreas Slominski, Susanne Tunn, Yue Minjun

IMPERIUM KONFLIKT MYTHOS 2009
Stationen:
25.04.09 - Ende 2011 Museum Kalkriese: KONKLIKT - Die historischen und archäologischen Aspekte der Varusschlacht
(Veranstaltungsorte: Archäologischer Park Kalkriese und dezentrale Standorte in und um Bramsche, Osnabrück und Bad Essen)
16.05.09 - 25.10.09 Lippisches Landesmuseum, Detmold: MYTHOS - 2000 Jahre Varusschlacht
16.05.09 - 11.10.09 Seestadthalle und LWL-Römermuseum, Haltern am See: IMPERIUM - 2000 Jahre Varusschlacht