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Das künstlerische Betätigungsfeld Christoph Schlingensiefs (1960 geboren in Oberhausen) zusammenzufassen, gleicht einem Streifzug durch die Künste – vom Filmemacher zum politischen Aktionskünstler, vom Theater- und Opernregisseur zum Schauspieler, vom Maler zum Kolumnenschreiber. Mit seinen überbordenden Materialballungen schafft er nicht nur fliessende Grenzen zwischen Kunstgattungen, sondern de- und rekonstruiert Bildwelten, die alles in sich aufsaugen, sich einer Linearität und klassischen Narration verweigern und den Betrachter mit dem Gefühl der Überforderung zurücklassen. Um seine Tätigkeiten unter einen Oberbegriff zu fassen, ist man versucht, den Begriff des «Universalkünstlers» zu verwenden. In seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in der Schweiz bringt Schlingensief Werkkomplexe der letzten beiden Jahre zusammen: von einer (Re-)Dekonstruktion seiner Kaprow City (2006), die erstmals an der Volksbühne in Berlin präsentiert wurde, über seine 16-mm-Film-Installation 18 Bilder pro Sekunde (2007) bis zu einer erstmalig präsentierten Filmfassung von The African Twintowers (2005/07), die in Lüderitz (Namibia) gedreht wurde.

Bereits in seinen frühen Filmen, die Schlingensief Ende der 1980er Jahre drehte, wie 100 Jahre Adolf Hitler – Die letzten Stunden im Führerbunker (1988) oder Egomania – Insel der Hoffnung (1986) lässt sich eines seiner wichtigsten ästhetischen Prinzipien erkennen, mit dem er auch heute noch konsequent arbeitet: Anhand einer visuellen und/oder akustischen Überlagerung, die beim Betrachter eine Überforderung auslöst und eine Implosion im eigenen Bildaufnahmespeicher stattfinden lässt, wird ein alternativer Weg für den Betrachter geebnet, um sich eine eigene «neue Bildmontage» und Narration zu schaffen. Die Total-Irritation als Mittel zur Befreiung, zu einer neuen Form der Konzentration erfordert eine aktive Haltung und Entscheidungsfähigkeit des Betrachters. Gerade in seinen Theaterarbeiten, mit denen er die grösste Bekanntheit erlangt hat, wie zum Beispiel Attabambi-Pornoland – Die Reise durchs Schwein, die im Jahr 2004 am Schauspielhaus Zürich aufgeführt wurde, lässt sich exemplarisch das Prinzip der Illusionsverweigerung konstatieren, das in einer intermedialen Welt abgehandelt wird, in der Überbleibsel der Wagnerianischen Gesamtkunstwerksidee sich mit dem Artaudschen Theater der Grausamkeit sowie dem Abjekten der Postmoderne paaren.

Als Auftakt der Ausstellung steht die als ursprünglich begehbare Installation auf einer Drehbühne konzipierte Kaprow City, die erstmals im Jahr 2005 an der Volksbühne in Berlin gezeigt wurde. Als Ausgangslage diente Schlingensief das bekannte Happening 18 Happenings in 6 Parts (1959) des amerikanischen Künstlers Allan Kaprow (1927–2006). Zentrales Anliegen in diesem Happening war das Überführen von theatralen Elementen in die bildende Kunst, um diese aus ihrer malerisch-kontemplativen Stagnation zu befreien. Dies jedoch nicht mit artifiziellen, künstlerischen Handlungen, sondern durch einfache Verrichtungen wie zum Beispiel das Auspressen einer Orange. Indem es dem Betrachter verunmöglicht wurde, durch räumliche Trennungen alle stattfindenden Happenings gleichzeitig zu sehen, sollte auch die Idee eines fragmentarischen Sehens gefördert werden. Diese beiden Ansätze, die Aufspaltung der Betrachter in verschiedene Gruppen und das Ausführen von einfachen, alltäglichen Verrichtungen – teilweise von Menschen mit Behinderungen –, wurden in Kaprow City übernommen. Das Einbinden von Behinderten, aber auch Arbeitslosen oder anderen Sozialgruppen, die am Rande der postfordistischen Gesellschaft existieren, kann als weiteres Element der Arbeitspraxis Schlingensiefs gesehen werden: Sie werden aufgrund ihrer scheinbaren Funktionslosigkeit zu Agenten der Kritik. Die Rekonstruktion von Kaprow City, die durch ihren Funktionswechsel gleichsam zu deren Dekonstruktion wird, deutet nicht nur Schlingensiefs Abkehr vom Theaterraum an, sondern wird gleich einer Möbiusschleife kurzgeschlossen. Die Stadt wird zur Ruine, die von neuem als Projektions- und Spielfläche dienen kann.

Seit geraumer Zeit wendet sich Schlingensief wieder intensiver dem Medium Film zu, dem eine Hauptrolle in der Ausstellung zukommt. In der Arbeit 18 Bilder pro Sekunde (2007), eine aus zwölf 16-mm-Projektoren bestehende Installation, deren Filme auf einer Bolex-Kamera gedreht und allesamt in Manaus während der Vorbereitungszeiten zu seiner Operninszenierung von Wagners Fliegendem Holländer entstanden sind, zeigt sich besonders Schlingensiefs Interesse an der Materialität des Films, an dessen organischem Anteil – und somit dessen Möglichkeit der langsamen Zersetzung, des Sichauflösens. Nicht nur verheddern und reissen die Filme durch die Loop-Projektionen immer wieder – sie bleichen auch langsam aus: Erinnerungen werden kathartisch gelöscht, durch die Lampen der Projektoren gereinigt, erlöst. Ihre Vorgänger, Kopien vom letzten Ausstellungsort, werden sargähnlich in Vitrinen aufbewahrt, mitsamt ihrer protokollierten Leidensgeschichte, wann und an welcher Stelle sie gerissen sind. In diesem Zusammenhang können auch die monumentalen Apostelfiguren gelesen werden, die von einem Karnevalswagen in Manaus stammen. Sie referieren auf das letzte Abend-mahl, das durch Judas’ Verrat den Anfang der Passionsgeschichte darstellt, und fassen die Projek-toren räumlich ein. Bilder werden in Schlingensiefs Arbeiten immer zur Abnutzung freigegeben, auf einen «Erlösungsweg» geschickt. Der Titel bezieht sich dabei auf das filmische Paradigma der 24 Bilder pro Sekunde, die, mit Godard, 24 Mal pro Sekunde die Wahrheit erzählen und unterzieht dieses einer Revision. Für Schlingensief genügen bereits 18 Bilder pro Sekunde, um ein flüssiges Bild zu bekommen. Die Dunkelphase, die Zeitspanne zwischen zwei Einzelbildern, macht für ihn ausserdem den eigentlichen Kreationsimpuls, die Lebendigmachung des Bildes, aus.

Die erste Filmfassung von The African Twintowers (2005/07), eine 80-Minuten-Version, die erstmals im Museum gezeigt wird, kann als «Auswuchs» aus Schlingensiefs Animatograph (2005), einer «aktionistischen Fotoplatte», einer Installation auf einer Drehbühne, bezeichnet werden. Dabei bezieht sich Schlingensief auf den historischen Begriff des «Animatographen», einer Apparatur aus der Frühzeit des Films, die synonymisch für die erste funktionierende Kamera steht. Dabei handelte es sich um einen Kinematographen, der gleichzeitig zur Aufnahme, aber auch Projektion benutzt werden konnte. So kann Schlingensiefs Animatograph nicht nur als Projektionsfläche verwendet werden, sondern auch als Aktionsort für The African Twintowers. Gedreht wurde der Film in Lüderitz (Namibia). Der Film handelt von den Ereignissen von 9/11 und verwendet Versatzstücke aus der nordischen Sagenwelt sowie Elemente aus dem afrikanischen Schamanentum. Es kommen Figuren wie Hagen von Tronje, Odin und Edda, Mitglieder des Volkes der Hereros, eines afrikanischen Hirtenvolks, und Geister darin vor – sowie Musik von Patti Smith mit Texten von Elfriede Jelinek. Die Projektion erfolgt aus der Kirche der Church of Fear (2003), einer Initiative, deren Ziel es ist, ihre Anhänger zum Bekennen der eigenen Angst und des Versagens zu bringen. «Man kann meines Erachtens voller Lust, Freude und Vorsatz scheitern. In meiner Arbeit war das immer ein Scheitern, das durch die Aufhebung von Zielgerade und Zielpunkt, von Raum und Zeit entstanden ist. Wenn man es innerlich schafft zu akzeptieren, dass es eines Scheiterns bedarf, um Kräfte nutzbar zu machen, wird viel passieren.»

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Christoph Schlingensief
Querverstümmelung
Kurator: Raphael Gygax