press release only in german

Eröffnung: Do, 31.1.2008, 20 Uhr Der Künstler ist anwesend.

Der österreichische Architekt und Künstler Bernhard Leitner hat Ende der 1960er Jahre in New York die erste Ton-Raum-Skulptur oder Architektur – eine aus mehreren Kanälen gespeiste Klangarchitektur – entworfen, ohne dass es damals die technischen Möglichkeiten ihrer Realisierung gab. Die Idee entstammte Leitners Interesse für den Raum (Architektur), klassischer und moderner Musik, modernem Tanz und dem technischen Instrumentatrium in der Kunst des 20. Jahrhunderts.

Wenn eine künstlerische Erfindung in der Welt ist, überlassen spätere Generationen die Frage, wer ihr Urheber war, der Geschichtsschreibung. Sie halten den Vorgang des Überschreitens in einer simplen linearen Denkweise für nicht mehr interessant bzw. für nicht mehr vital genug, als dass er sie, innovativ“ berühren könnte. In der rationalen Wissenschaft und Technik ist ein solches Denken weit verbreitet, woher etwa die Idee der Dampfmaschine oder des Computers stammt, ist musealisiert. In der Kunst bleibt umstritten, ob es überhaupt sinnvoll ist, dieser Frage nachzugehen, zumal die Erfindungen mitunter nur Grade des Anderen in sich tragen und oftmals gleichzeitig und unabhängig voneinander entwickelt werden. Solange man diese Erfindungen mechanistisch oder formalistisch und nicht als Ausdruck eines sich verändernden Bewusstseins denkt, bleibt das Abenteuer des Geistes unbeleuchtet.

Die Moderne in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat der Kunst vor allem ein offenes Feld bestellt, ganz im Sinne des nunmehr offenen Denkens in allen Bereichen der Welterkenntnis: „… man beargwöhnt den unabänderlichen Standpunkt, man verabscheut das Gefängnis der fixierten Begriffe“, wie Max Bense, einer der Theoretiker dieser Entwicklung schreibt. Nahezu jedes bedeutende künstlerische Subjekt der 1950er bis 1980er Jahre hat etwas erfunden. Keinesfalls handelt es sich aber nur um ein beliebiges, freigesetztes Spiel in einer liberaler gewordenen Gesellschaft. Es war eine einzige Absetzbewegung, die sich der traditionellen Fesseln zu entledigen gedachte. Die von der Physik ausgehende Relativierung des gesamten bis dahin gültigen Wissens hatte die Kunst in diesen Jahrzehnten tatsächlich erreicht. Marcel Duchamp war allerdings (schon ab 1912) allen vorausgegangen. Vor allem aber wird die – was über Duchamp hinausreicht – interdisziplinäre Überschneidung aller künstlerischen Gebiete vorangetrieben. Die Erfindungen der sogenannten Neuen Musik etwa überschreiten die Grenze zur bildenden Kunst oder umgekehrt, was einen bis dahin unerhörten Vorgang darstellt. John Cage soll an dieser Stelle stellvertretend genannt werden, die Namenskette, die hier anschließen müsste, ist außerordentlich lang. Erst nach Cage kann man von der Klangkunst als einer Art Doppelkunst zwischen Ton/Klang und Bild/Raum sprechen. Der Begriff Klangkunst ist dennoch ein unscharfer und immer unschärfer werdender Begriff geblieben, der heute kaum noch verwendungsfähig scheint. In unserem Zusammenhang, den frühen Ton-Raum- Untersuchungen von Bernhard Leitner, kann man den Begriff Klangkunst nicht verwenden, ohne die Radikalität dieser Untersuchungen zu verharmlosen. Bernhard Leitner hat sich erstmals gedanklich (ohne zunächst eine technische Realisationsmöglichkeit zu kennen) die Aufgabe gestellt, einen modellierbaren Ton zu erzeugen, der auf seiner in sich schon durch Dehnung und Zusammenziehung gekennzeichneten „Klanglinie“ einen oder mehrere Körper (Skulpturen) im Raum zu erzeugen vermag. Hier von Klangskulptur (als Gattung einer Klangkunst) zu sprechen, was sie ihrem Wesen nach zu sein scheint, fällt um so schwerer, als dieser Tonkörper zwar in seiner Klangzeit erfahrbar, nicht aber im herkömmlichen Sinne sichtbar wird. Er bleibt in einem gewissen Sinne nicht nur immateriell, sondern auch nichtassoziativ.

Im Unterschied auch zur Neuen Musik ist er ein vierdimensionales Raumklanggebilde, nicht ein Klang, der sich lediglich in den Raum hinein ausdehnt. Die ausgelegten Instrumente, auf Holzlatten befestigte Lautsprecher und die tonabgebenden Geräte sind im strengen Sinne nicht Teil der Skulptur, ihre retrospektive ästhetische Bewertung können wir hier vernachlässigen. Der hörende Mensch (und zwar als ganzkörperlicher, nicht auf das Ohr begrenzter „Hörapparat“) tritt in den Ton-Raum ein, um vor allem eine neue Raumerfahrung in der Zeit mittels des Klangs zu erleben, wobei das Empfinden der Zeit selbst ebenfalls den Raum konstituiert. „Diese Räume haben keine gleichzeitig erlebbaren Grenzen, sie sind auch nicht ‚fließend-dynamisch’ im herkömmlichen Sinn. Sie entstehen und vergehen. Raum ist hier eine Folge von räumlichen Ereignissen – wesenhaft ein Ereignis der Zeit. Raum wird in der Zeit entwickelt, wiederholt und verändert.“ (Bernhard Leitner). Der Raum wird aus seiner perspektivisch festgelegten Dreidimensionalität in die vierte, durch die Zeit vorgegebene Dimension hinein geöffnet. Es entsteht ein offener, nicht mehr perspektivisch linear gedachter Raum, das heißt auch der herkömmliche Begriff der Skulptur und der Architektur wird (in diesem entgrenzten Raum) aufgelöst. Die Suche nach einer schlüssigen Bezeichnung für diesen komplexen Vorgang stellt sich als schwierig heraus. Sie ist ein sicheres Anzeichen für eine neue Form, die zu ihrer präzisen Beschreibung erst hinfinden muss. Je weiter sie in einen Raum vorstößt, der uns noch unbekannt ist, um so mühevoller ist ihre sprachliche Erfassung. Diese Frage nach der sprachlichen Umschreibung der Ton-Raum-Untersuchungen von Bernhard Leitner führt auf ein Thema, das nicht zufällig zu eines seiner Lebensthemen geworden ist, sondern im geistigen Sinne logisch in seiner Biografie steht: die Beschäftigung mit dem 1926–1929 gebauten Haus Wittgenstein in Wien. Bernhard Leitner hat von New York aus in der Zeit seiner Überlegungen zu den Ton-Raum-Untersuchungen begonnen, das von Ludwig Wittgenstein für seine Schwester Margarete Stonborough-Wittgenstein gebaute Haus zu retten (seit 1969 Arbeit an einem Text über Wittgensteins Architektur für die amerikanische Zeitschrift Artforum, erschienen Februar 1970; Juni 1971 endgültige Rettung des Hauses vor dem Abbruch). Die Rettung des Hauses war mehr als ein Akt allgemeiner bürgerlicher Zivilcourage, sie war vor allem die Wahrung eines im 20. Jahrhundert beispiellosen, präzise materialisierten Denkraumes. Die gelungene Sicherung des Hauses war ein Indiz dafür, dass es noch Hoffnung auf eine Gemeinschaft der Kräfte gab, die den Geist gegen den materialistischen Stumpfsinn verteidigten. Bernhard Leitner war in letzter Minute erhört worden. Das Hören und das Sehen können (des Hauses) hatten verhindert, dass es zu einem unwiederbringlichen Verlust von etwas kam, was bis zu seiner Bedrohung nicht einmal in der Fachwelt bekannt war, auch dies ist symptomatisch. („Das, was den Gegenstand schwer verständlich macht, ist – wenn er bedeutend, wichtig ist – […] der Gegensatz zwischen dem Verstehen des Gegenstandes und dem, was die meisten Menschen sehen wollen. Dadurch kann gerade das Naheliegendste am allerschwersten verständlich werden. Nicht eine Schwierigkeit des Verstandes, sondern des Willens ist zu überwinden.“ Ludwig Wittgenstein). Seine Rettung war gleichzeitig die geistige Geburt des Wittgenstein-Hauses. Es war in diesem Zusammenhang auch logisch, sich mit den Ton-Raum- Untersuchungen in die modellhafte Verwirklichung der geistigen Überschreitung von eng gewordenen Verhältnissen zu begeben, letztendlich um erhört zu werden.

Die gemeinsam mit Bernhard Leitner für den Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart konzipierte Ausstellung zeigt die frühen Skizzen, Notate, Modelle und Fotografien, in welchen sich seine Idee der Ton-Raum-Skulptur zunächst offenbarte. Im Zentrum der Ausstellung in der Historischen Halle, im White Cube, aber steht die Wiederaufnahme der ersten, 1971 bis 1973 vollzogenen Ton- Raum-Untersuchungen. Sie ist keine historische Rekonstruktion, sondern die mit Hilfe von modernen Steuerungsgeräten erstmals wieder realisierte erste Ton-Raum-Skulptur in der Geschichte der bildenden Kunst.

Die Ausstellung wird ermöglicht durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie. Sie wird veranstaltet in Kooperation mit dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, mit Unterstützung des Österreichischen Kulturforums Berlin und in Verbindung mit MaerzMusik – Festival für aktuelle Musik, Berliner Festspiele. Kurator: Prof. Dr. Eugen Blume, Leiter des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart – Berlin

Zur Ausstellung erscheint in der Reihe Zeitschriften des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart – Berlin „Bernhard Leitner, TonRaumSkulptur“, Museum für Gegenwart 12/2008, dt./eng., 128 S., broschiert, Staatliche Museen zu Berlin, 2008.

only in german

Bernhard Leitner
TonRaumSkulptur
Kurator: Eugen Blume
Ort: Historische Halle/White Cube
Im Rahmen von MaerzMusik – Festival für aktuelle Musik, Berliner Festspiele