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Die Künstlerin Barbara Sturm spielt mit Doppeldeutigkeiten, mit Uneindeutigkeiten, mit der Vervielfachung von Bezügen und Referenzen. Ihre Arbeiten stellen überkommene Definitionen von Originalität und Virtuosität als Kriterien zur Beurteilung von Kunstwerken in Frage. Oder besser gesagt: Sie verschieben die Objekte, an die man derartige Maßstäbe anlegen könnte. Die Serie „Der Bug/the Bug“ macht diese Strategie deutlich. Im Deutschen trägt dieses Wort mehrere Bedeutungen: die Schiffsnase wird so genannt oder das Schulterstück vom Rind, die Zimmerleute bezeichnen damit eine Gebälkstrebe und die Buchbinder die Falz im Papier. Gemeinsam ist all diesen Bedeutungen das Biegen, das sich wohl aus dem germanischen Wort für Arm, bog, herleiten lässt. Auf Englisch meint man damit einen Käfer oder eine Wanze und im übertragenen Sinne auch die Abhörwanzen. In der Computersprache bedeutet der Begriff einen Programmierfehler oder generell einen technischen Defekt. Angeblich weil tatsächlich in der Frühzeit der Digitaltechnologie oftmals Insekten in den noch recht großen Rechnern elektronische Verbindungen kurzgeschlossen haben. Das englische Verb bezeichnet das, was Insekten mit einem tun: nerven.

Diese großformatigen Zeichnungen von Barbara Sturm zeigen Interieurs, die im Geschmack der 60er und 70er Jahre eingerichtet sind. Große Buchstaben, die offenbar nicht in der dargestellten Wohnung zu finden sind (sondern nur in deren Abbildung), deuten mit einem auffälligen Pfeil auf den „Bug“ hin. Folgen die Augen dem Hinweis, fällt auf, dass die Künstlerin hier eine Papierfalz mitgezeichnet hat. Es handelt sich also nicht um Bilder von Innenräumen, sondern um Zeichnungen von Fotos von Möblierungen aus alten Einrichtungsratgebern. Und außerdem klebt da ein echter Käfer, aus einer entomologischen Sammlung genommen und hierhin versetzt. Sind das geheimdienstlich verwanzte, konspirative Wohnungen aus der bleiernen Zeit des deutschen Terrorismus? Was meint der „Bug“? Letztlich weder Käfer noch Knick, sondern die lange Reise der Bilder durch unterschiedliche Medien, durch Intentionen, Funktionen und durch die Zeit. Die Möbeldesigns selbst haben die Entwurfsgeschichte der Moderne aufgesaugt, die zeitgeistgesättigten Aufnahmen für den Katalog stecken voller historischer und persönlicher Assoziationen, die Mode wurde mehrmals altbacken und dann als Retrochic wieder heiß, in den vergangenen vier oder fünf Dezennien sind die Einrichtungsbücher, die jene Fotografien abgedruckt haben, gealtert und vergilbt. Dies sind nur die augenfälligsten Stationen einer Bildgenealogie, die sich schließlich in Sturms Übertragung in das Medium der Zeichnung an der Stolperfalle des „Bugs“ aufstauen und sichtbar werden.

Auch die Zeichnungen der Serie „Famous Male Colleagues“, mit denen Barbara Sturm die Arbeiten anderer zeitgenössischer Künstler wie Wim Delvoye, Santiago Sierra oder Franz West gleichzeitig ehrt und karikiert, machen diese Reise der Bilder durch die Köpfe der Menschen nachvollziehbar. Die stark autobiografischen Momente, die sich in Sturms Werk finden, bei der Erinnerung in Kunst überführt wird; die Serie „corrections“, die in Photoshop verzerrte Ansichten abzeichnet und die eingescannten Zeichnung mit dem gleichen Computerprogramm vergeblich wieder zu entzerren versucht – all diese Ansätze zeigen Bilder, die im Akt der Übersetzung entstanden sind: found in translation. Eine solche ästhetische Abstammungslehre der Übertragung und Tradierung ist weitaus komplizierter als das Prinzip der biologischen Vererbung. Hier gibt es mehr als zwei Elternteile und ein unüberschaubares Hin und Her verschiedenster Merkmale zwischen den diversen Filialgenerationen. Das zeigt sich an dem eigenwilligen Experiment, mithilfe einer Nagelschere eine Zimmerpflanze zumindest ästhetisch in eine andere zu verwandeln. Ein Genetiker wird sich so nicht hinters Licht führen lassen und auch wir Nichtbotaniker bemerken bald den Trug. Und doch werden gerade im Scheitern jene Differenzen und Gemeinsamkeiten sichtbar, die Entwicklungsbiologie und die Geschichte der Kunst voneinander trennen und miteinander verbinden.

Das ist eine großartige Schule des Sehens, das ist ebenso witzig wie geistreich, das sind herausfordernde Spiele auf hohem intellektuellen Niveau, die aber niemals eine abweisende Diskurswand um sich aufziehen. Hier wird die Referenz selbst zum Material der Kunst, ohne die ästhetische Präsenz und eine Leichtigkeit der Darstellung aufzugeben. Hier findet sich das Beste, was Kunst kann: gleichzeitig leicht und schwer sein, Humor und Tiefe miteinender versöhnen, Genuss und Erkenntnis in Einklang bringen.

Dr. Friedrich Weltzien