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Die Ausstellung ATLAS MAPPING beschäftigt sich aus künstlerischer Sicht mit der Karthographie, dem ältesten Zweig der Bildwissenschaft. Künstler unterziehen die Karten dieser Welt einer ästhetischen Betrachtung und Veränderung (siehe Katalog), vor allem aber gehen sie den Bewegungen und Verschiebungen auf den Landkarten der zeitgenössischen Kunst nach.

1975 hat der belgische Künstler Marcel Broodthaers einen Miniaturatlas in der Größe einer Zündholzschachtel gestaltet und darin alle Länder auf die gleiche Seitengröße hinunterprojiziert, so daß etwa Österreich praktisch gleich groß wie Australien erscheint. Diesen Atlas für die Westentasche hat Broodthaers explizit den Künstlern und Militärs zum Gebrauch empfohlen - ein schönes Beispiel für eine imaginäre Geographie und zugleich der realutopische Versuch einer kulturellen Neukartierung. Das Paradigma der Repräsentation wird heute durch ein cultural mapping als Leitvorstellung abgelöst. Sowohl die Kulturwissenschaften als auch die künstlerischen Werke selbst wirken aktiv mit am Paradigmenwechsel. Die Metapher der Kartographie dient heute als Alternative zu den "großen Erzählungen".

Jede Karte ist im zweifachen Sinn Projektion: Projektion einer verzerrten Welt (und auch einer nur zur Hälfte repräsentierten Welt, denn wo bleibt der Lärm, der Gestank, die totgefahrenen Kinder) und zugleich ist es ein Blatt Papier, das die Projektionen des Zeichners beinhaltet.

ATLAS MAPPING geht davon aus, daß Künstler-Kartographen durchaus als Gegenmodelle zur Arbeit der etablierten Geographie verstanden werden können: Selbstgemachtes Mapping (statt fremdgemachtes) steuert abseits vorgebahnter Wege. Mit Mapping ist immer auch Self-Mapping gemeint. So gesehen dokumentiert die Ausstellung einen künstlerischen Ausdruck, der Spaß hat am eigenen Fragen, Forschen, Suchen und Erkunden - und am eigenen Körper.

Franz Ackermann schafft "on the road" sogenannte "Mental Maps", koffertaugliche Zeichnungen als Teile eines imaginären Logbuchs real erlebter Raum- und Zeiterfahrung. In Bregenz vereint der Künstler drei elementare Aspekte seines Werkes zu einer großformatigen Wandinstallation, in welcher die "Mental Maps" mit einer Leinwand namens "Evasion" (Projektion eines besuchten Ortes) und einer "Evasion X" (Stadtpläne bereister Orte) zu einer Kartenlandschaft als Gesamtkunstwerk vereint werden.

Gegen den Ausschluß immer größerer Bevölkerungsgruppen versucht Ingo Günther mit seiner sinnbildlichen "Refugee Republic" wieder Anschlußmöglichkeiten für Menschen auf der Flucht anzubieten. "Man muß sehen", so der Künstler, "daß Flüchtlinge eine Art Rolls Royce ohne Räder sind". Seine Neonröhren- (Magazin 4) und "World Processor" Globeninstallation (Kunsthaus Bregenz) zeigen, daß Flucht und Migration das globale Dorf in ein Netzwerk von statistischen Daten und nomadischen Dingen auflösen.

Für den schwarzen Künstler Moshekwa Langa sind Karten erst recht wichtig, wenn er auf die Situation seiner Heimat Südafrika blickt, wo innerhalb des Landes willkürlich, wie er sagt, alte Grenzen aufgelöst und dafür neue gezogen wurden. Wenn Langa mit Zwirnspulen Kartenlandschaften auslegt, die er "Der Gipfel meiner Jugend" nennt, dann geht es weniger darum, den geographischen Raum auszudehnen, als vielmehr um eine Autogeographie, darum also, in der Geographie sich selbst zu werden - die Biographie des Ortes kreuzt sich mit der Geographie des Selbst.

Die Künstler als Kartographen opfern die Wahrheit der Fiktion. Sie nehmen "Die Neuaufteilung der Welt" vor, wie die Brüder Carsten & Olaf Nicolai eine ihrer wichtigsten Arbeiten der 90er Jahre nennen. Ausgehend von dieser Leinwand werden in Bregenz zwei neugeschaffene große Fragmente gezeigt: ein flaggenähnliches Außentransparent im Maß von 12 x 4 Metern (Magazin 4), wie auch eine eigens für die Glas-Innenfassade im Erdgeschoß des Kunsthauses geschaffene hinterglas-artige Symbolsprache codierter Kartenzeichen.

Der mythengenerierende "Schwarze Kontinent" des Linzer Komponisten Georg Nussbaumer vollzieht innerhalb der Ausstellungsdauer eine Kontinentaldrift von 1303 Vorgängen. Seine akustische Geographie betreibt Nußbaumer als Sound-Kartograph, indem er die Vogelperspektive auf seine Afrika symbolisierende Flügelinstallation einnimmt. Sein Elfenbeinflügel - mise en vue - eröffnet akustische Räume, bei denen offen bleibt, ob das Territorium und die Karte miteinander in Deckung gebracht werden können.

Die derzeit in Los Angeles lebende Berliner Künstlerin Valeska Peschke zeigt in Bregenz den Holzfußboden ihres Berliner Ateliers, auf dem sie einen Monat lang herumgeschweift ist - zwischen Essen und Lieben, zwischen Lesen und Arbeit, zwischen TV und Couch. Ihre romantische Bewegung jenseits bekannter Kartographie setzt Peschke nun auf populär-triviale amerikanische Art fort, indem sie den Aufruf "Join the American Living Room" über den Pazifik sendet: Die Besucher können den Living Room der Künstlerin am South Orange Drive in L.A. betreten, der Kompressor benötigt knapp eine Minute, um das genähte Vinylhaus aufzublasen.

Im Februar 1997 reist die Künstlerin Eva Wohlgemuth nach Monterey, Kalifornien, um ihren Körper zu kartieren. Ein Scanner tastet ihren Körper in einem ab (Body Mapping). Resultat ist ein Datenset, das mit 285.000 Polygone die feinstmögliche Darstellung einer Körperoberfläche ist. Wohlgemuth existiert fortan als digitales Datenobjekt, als virtuelle Körperkarte. In ihrer Macromediamovie-Installation "evasys.personal information 1.0"- in Bregenz im Magazin 4 präsentiert - begeben sich die Betrachter auf eine Entdeckungsreise in und durch einen animierten Körper.

Mit seiner Flaggeninstallation "GUS-Ameisenfarm" konfrontiert Yukinori Yanagi die Betrachter mit der Fragilität von nationalen Identitäten, da die verschiedenen Länderbanner langsam, aber unaufhaltsam von Ameisenpopulationen aufgelöst werden - das De-Mapping nationaler Symbole ist unausweichlich.

Die Ausstellung ist selbst zu einer Arena für Mapping geworden, oder mit anderen Worten: Die Ausstellung funktioniert als Karte. Sie ist eine Art Karten-Karte. Beim Auslegen der Künstler/innen-Karten entpuppt sich die Falte als Instrument der Konnexion: Unterschiedliches schließt sich weder aus noch ein, es kann gefaltet werden zu seiner Verbindung, verkettet ohne Ketten, man kann Springer sein von einem zum anderen.

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen von Anette Baldauf, Doris Bachmann-Medick, Paolo Bianchi, Marie-Ange Brayer, Dagmar Fink, Sabine Folie, August Gächter, Michael Glasmeier, Christine Buci-Glucksmann, Richard Hoppe-Sailer, Adrianne Wortzel. Buchhandelsausgabe Turia & Kant Verlag, Wien (ISBN 3-85132-162-6)

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ATLAS MAPPING. Künstler als Kartographen. Kartographie als Kultur
Konzepte, Projekte und Realisierungen von Künstlern
Orte: Kunsthaus Bregenz, Vorarlberger Kunstverein, Magazin 4
Koproduktion mit O.K Centrum für Gegenwartskunst, Linz
Kuratoren: Sabine Folie, Paolo Bianchi

Künstler: Franz Ackermann, Marcel Broodthaers, Ingo Günther, Moshekwa Langa, Carsten Nicolai & Olaf Nicolai, Georg Nussbaumer, Valeska Peschke, Eva Wohlgemuth, Yukinori Yanagi.