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Was hat der sich wandelnde Begriff der Arbeit mit geistigem Eigentum zu tun? Wir leben heute in einer postindustriellen Gesellschaft, in der nicht mehr materielle Güter (wie Stahl, Kohle etc.) produziert werden, sondern immaterielle Güter. Das Ruhrgebiet mit seinen deindustrealisierten Landschaften steht paradigmatisch für diesen Übergang vom Industriezeitalter in die Informations- oder Wissensgesellschaft. Es gibt jedoch einen signifikanten Unterschied: Immaterialgüter wie Wissen und Informationen lassen sich verlustfrei reproduzieren. Um in einer Wertschöpfungskette funktionieren zu können, müssen diese Immaterialgüter daher in ihrer Verbreitung eingeschränkt werden – und zwar mit Hilfe des Patent-, des Urheber- und des Markenschutzrechts. All dies sind Formen geistigen Eigentums.

Auf das Konzept des Geistigen Eigentums als Wertschöpfungsinstrument verweist auch die perfide Kurzgeschichte von David Rice, der die KuratorInnen Inke Arns und Francis Hunger den Ausstellungstitel entlehnt haben: Im Jahr 2067 lassen Stars – wie der ex-Tennisprofi Anna Kournikova – ihre „Marke“ vor unerlaubten Lookalikes schützen, indem diese durch ein satellitengestützes System kontrolliert und gegebenenfalls durch einen starken Laserstrahl ausgelöscht werden. Die ‚echte’ Anna Kournikova wird auf einer nicht angemeldeten Reise in den asien-pazifischen Raum vom System als unerlaubte Kopie ihrer selbst identifiziert - und konsequenterweise eliminiert.

Die Ausstellung Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System – Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums in der 2.200 qm großen PHOENIX Halle in Dortmund-Hörde auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks Phoenix-West fragt angesichts aktueller Entwicklungen, was mit Kunst und Musik, die appropriierend, sampelnd und zitierend mit Vorbestehendem verfährt, im Zeitalter eines Urheber- bzw. Immaterialgüterrechts passiert, das immer stärker exklusiven Verwertungs- denn öffentlichen Nutzungsansprüchen verpflichtet ist. Entgegen der Behauptung der Urheberrechtsindustrie, die besagt, dass die Ausweitung der Schutzrechte (für wen?) mehr Kreativität bedeutet, stellt die Ausstellung die These auf, dass Kreativität nur dann möglich ist und bleibt, wenn Künstlerinnen und Künstler in der Lage sind, mit Rückgriff auf Vorbestehendes Neues zu schaffen. Aneignende Kunst, die über Kultur spricht, indem sie sich auf kulturelle Artefakte bezieht und vorgefundenes ästhetisches Material verwendet, wird weiterhin nur dann entstehen können, wenn auch in Zukunft gewährleistet ist, dass neben den gerechtfertigten ökonomischen Interessen der Urheber und der Verwerter die demokratischen Teilhabeansprüche (von Konsumenten – und Urhebern!) ausreichend berücksichtigt werden.

Sollte die Entwicklung des Urheberrechts und der anderen geistigen Eigentumsrechte weiter so betrieben werden, wie es derzeit der Fall ist, wird dies durchaus in Frage gestellt. Ein noch stärker im Sinne der Verwerter verschärftes Urheberrecht würde sich gegen die Freiheit der Kunst wenden und zu einem effektiven Instrument der Unterbindung von Neuem mutieren. Es würde immer schwieriger, über Kultur unter Verwendung von Bildern, Logos oder Soundschnipseln eben dieser Kultur zu sprechen. Einen Vorgeschmack auf diese Entwicklung gibt bereits die Tatsache, dass Sampling im Hip Hop stark abgenommen hat, seitdem Rechtsabteilungen von Majors aggressiv gegen unlizenzierte Samples von Musikern anderer Labels vorgehen.

Die Ausstellung Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System – Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums stellt künstlerische Arbeiten vor, die sich einerseits mit der künstlichen Verknappung von Kulturgütern befassen und andererseits mittels 'alternativer' Lizenzen eine Alternative zum gegenwärtigen Urheberrecht entwickeln. Die ausgewählten Arbeiten werden die Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Arbeit im Rahmen eines zunehmend restriktiv gehandhabten Immaterialgüterrechts aufzeigen und so den sich wandelnden Begriff von Arbeit im Kontext digitaler Reproduzierbarkeit beleuchten.

Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System – Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums zeigt zeitgenössische künstlerische Arbeiten aus den Bereichen der Konzept-, Netz- und Softwarekunst sowie Filmwerke, die die Kollision von Technikentwicklung, digitaler Rechtekontrolle, Ökonomie und kultureller Arbeit zugleich nachdenklich und spielerisch aufzeigen.

Die in der Ausstellung vertretenen KünstlerInnen gehen der Frage nach der Kunst im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit nach, die sich in einer post-fordistischen, mit digitalen Computernetzwerken durchzogenen Welt noch einmal anders stellt als in den vom Fordismus geprägten, analogen Zeiten, auf die sich Walter Benjamin bezog. Im Umgang mit diesen Fragestellungen werden künstlerische Techniken wie Cut-up, Sampling, Detournement, Appropriation, Kopie, Remix, Plagiarismus und Wiederholung eingesetzt.

Teilnehmende KünstlerInnen: AGENTUR/AGENCY (BE), Daniel Garcia Andújar (ES), Walter Benjamin (US), Pierre Bismuth (FR), Christian von Borries (DE), Christophe Bruno (FR), Claire Chanel & Scary Sherman (US), Lloyd Dunn (US/CZ), Fred Fröhlich (DE), Nate Harrison (US), John Heartfield (DE), Michael Iber (DE), Laibach/Novi kolektivizem (SI), Kembrew McLeod (US), Sebastian Lütgert (DE), Monochrom (AT), Negativland and Tim Maloney (US), Der Plan (DE), Ramon & Pedro (CH), David Rice (US), Ines Schaber (DE), Alexei Shulgin & Aristarkh Chernyshev (Electroboutique, RU), Cornelia Sollfrank (DE), Stay Free (US), Jason Torchinsky (US), UBERMORGEN.COM & Alessandro Ludovico & Paolo Cirio (CH/AT/IT), u.a.

Katalog

Anfang September 2008 erscheint ein umfangreicher zweisprachiger Ausstellungskatalog (dt./engl., mit Beiträgen von Inke Arns, Martin Conrads, Florian Cramer Francis Hunger und einem Vorwort von Susanne Ackers und Volker Grassmuck), der die die Ausstellung in der PHOENIX Halle Dortmund dokumentiert.

Katalogbeitrag von Inke Arns: "Use = Sue. Von der Freiheit der Kunst im Zeitalter des 'geistigen Eigentums' ", in: Anna Kournikova Deleted by Memeright Trusted System - Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums, erscheint Anfang September 2008

Kuratoren: Inke Arns, Francis Hunger