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Anish Kapoor ist einer der weltweit bedeutendsten zeitgenössischen Künstler. Seit seinen ersten Skulpturen - einfache, auf dem Boden ausgebreitete Formen mit farbigen Pigmenten - hat Kapoor ein facettenreiches Werk aus verschiedenen Materialien wie Stein, Stahl, Glas, Wachs, PVC-Häuten und High-Tech-Material entwickelt. In seinen Objekten, Skulpturen und Installationen verwischen die Grenzen zwischen Malerei und Bildhauerei. Für seine erste große Ausstellung in Berlin wird er das gesamte Erdgeschoß des Martin-Gropius-Baus bespielen, einschließlich des grandiosen Lichthofs. Etliche Arbeiten entwirft er eigens für das Haus. Die Schau bietet mit etwa 70 Werken auch einen Überblick über das abstrakt-poetische Werk des Turner-Preisträgers von 1982 bis heute.

Kapoor, 1954 in Bombay geborenen, zählt zu den prominentesten Vertretern der British Sculpture. 1973 kam er nach London, wo er seither lebt und arbeitet. Kapoor studierte an der Hornsey School of Art Bildhauerei. Hornsey war damals die radikalste unter den Kunsthochschulen Londons – am offensten für Einflüsse der marcuseschen Revolutionen, die zu jener Zeit die Studentenbewegungen erfasst hatten. 1990 vertrat er auf der Biennale von Venedig Großbritannien und erhielt den begehrten Preis „Premio 2000“ der internationalen Jury. 1991 wurde ihm der renommierte Turner-Preis verliehen. Seit den frühen 1980er-Jahren wird sein vielfach prämiertes Werk weltweit ausgestellt.

Charakteristisch für Kapoors Arbeiten sind seine unbegrenzte Fähigkeit, die künstlerische Sprache sowohl in der monumentalen wie auch in der intimen Dimension immer wieder neu zu erfinden, und die vielen Dualitäten, die in seiner Suche nach den ästhetischen Kräften sowohl in der Perfektion also auch im Chaos zu Tage treten. Seine Arbeiten sind aus natürlichen und künstlichen Materialien geschaffen. Sie dienen Kapoors unendlich einfallsreicher und suggestiv abstrakter Metaphorik. Einige Werke der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau seien hier kurz vorgestellt: Arbeiten mit Farbpigmenten stehen bei Kapoor seit den 1970er-Jahren immer wieder im Fokus. In „White Sand, Red Millet, Many Flowers“ von 1982 etwa, stellt Kapoor Bezüge zu seinem Geburtsland Indien her: Objekte, die an Schmuckelemente indischer Tempel oder buddhistischer Stupas erinnern, überzog er mit stark deckendem, leuchtendem Pigmentpulver in rot, gelb und schwarz.

Ende der 1980er-Jahre bearbeitet Kapoor Stein. „Wound“ ist eine solche Arbeit: Kapoor schlägt eine Schneise in die Innenseiten zweier Steine und füllt sie mit tiefrotem Pigment. Die Schneise setzt sich an der Stirnseite der Wand fort, dort laufen die Steine V-förmig zusammen. Die tiefrote Färbung betont das Organische. Sein Werktitel ruft vor dem inneren Auge vielfältige Bilder wach und lenken die Lesart.

Im Universum des Anish Kapoor gibt es viele schwarze Löcher. Einer der Höhepunkte der documenta IX war Kapoors Raum „Descent into Limbo“ (1992): In der Mitte eines begehbaren Kubus’ öffnete sich ein schwarzes Loch von scheinbar unendlicher Tiefe in den Erdboden und zog den Betrachter förmlich in sich hinein. Eine Neukonzeption dieser Arbeit findet sich im Martin-Gropius-Bau.

Kapoors konkave oder konvexe Spiegelgebilde stellen die Welt auf den Kopf. Im Widerschein der blankpolierten Oberflächen erkennt der Betrachter sich und den Raum verzerrt wieder. Die schimmernden Edelstahl-Spiegel lassen die Ordnung von Zeit und Raum aus den Fugen geraten. Der Betrachter wird auf sich selbst zurückgeworfen. In „Vertigo“, entstanden 2008, erscheinen mehrere Perspektiven simultan in einer Spiegelung. Der Besucher sieht sich wie durch ein Brillenglas nah und zugleich in weiter Ferne. Gemeinsam ist all seinen Spiegelobjekten das Spiel mit der Wahrnehmung. Trotz ihres Minimalismus’ wirken sie niemals hermetisch verschlossen, sondern offen und zugänglich. Sie laden den Betrachter ein, ein modernes Wunderland zu betreten und damit zum Akteur zu werden.

Bei Kapoors Wachsarbeiten wird der ausharrende Zuschauer zum Beobachter eines sich stetig verwandelnden Objekts. Wachs ist dank seiner Formbarkeit für Entwürfe spontaner Bildhauerideen geeignet und wurde in der Skulptur seit jeher für das Modellieren von Entwürfen, für Abdrucke und Gussverfahren verwendet. Kapoor nimmt dem Material seine Blässe und stellt es ins Zentrum seiner bildhauerischen Idee.

Kapoor lässt sich in kein Schema pressen. Typisch für ihn ist auch, dass jedes von ihm neu geschaffene Werk das Verhältnis zwischen Malerei und Bildhauerei zur Architektur neu definiert. Für den Lichthof des im Stil der Neorenaissance erbauten Ausstellungshauses gestaltet Kapoor eine neue Skulptur. Ihre Form und Materialität soll bis zur Eröffnung unbekannt bleiben. Sie wird in der Tradition von El Lissitzky, dem großen russischen Konstruktivisten, stehen, der gemeinsam mit Malewitsch unter anderem an der berühmten Aufführung der Oper „Der Sieg über die Sonne" arbeitete. El Lissitzky erfand mit „Proun“ eine neue Welt, die er selbst als „Umsteigestation von Malerei zu Architektur“ bezeichnete.