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Kunsthaus Zürich zeigt zum ersten Mal die Originalgipse Alberto Giacomettis.

Vom 19. Mai bis 30. Juli 2006 präsentiert das Kunsthaus Zürich Originalgipse, die Alberto Giacometti 1965 in seinem Pariser Atelier und seinem Heimatort Stampa (Schweiz) zurückliess. Berühmte Meisterwerke erscheinen in der hellen, schwerelosen Materialität ganz neu und andersartig als in den bekannten Bronzegüssen. Viele Skulpturen waren nur durch alte Atelierfotos bekannt; nicht wenige zeigen unerwartete Aspekte des frühen Werkes, andere öffnen Einblicke in die experimentellen Seitenwege der reifen Zeit.

VERGESSENE SKULPTUREN WIEDER AM LICHT Als Alberto Giacometti am Abend des 5. Dezembers 1965 die Ateliertür an der Rue Hippolyte-Maindron hinter sich schloss, verschwand ein ganzer Kontinent seines Œuvres für Jahrzehnte aus dem Blickfeld. Im Januar 1966 starb er im Kantonsspital Chur. Die Gips-Skulpturen wurden von seiner Witwe Annette eingelagert. Elf Jahre nach ihrem Tod konnten sie im April 2004 zwischen der Schweizer Familie und der Pariser Stiftung, die Annette lange anstrebte, aber vom Staat erst Ende 2003 genehmigt wurde, aufgeteilt werden. Die Präsentation, die durch das Entgegenkommen von Bruno und Odette Giacometti und der Familie Berthoud möglich wird, bietet Einblick in diese, dem ursprünglichen Schöpfungsprozess noch nähere Welt des berühmtesten Schweizer Plastikers. Christian Klemm, Konservator der Zürcher Alberto Giacometti-Stiftung und Sammlungskonservator am Kunsthaus Zürich, hat die rund 75 Gipse in einer Kabinett-Ausstellung arrangiert.

MATERIALITÄT IN KUBISTISCHER UND SURREALISTISCHER PHASE Die meisten Skulpturen Giacomettis erlebten drei Aggregat-Zustände. Zunächst formte Alberto sie in Ton. Sobald dieser nicht mehr in Tüchern feucht gehalten wird, zerspringt er und das Werk zerfällt. Deshalb muss in einem zweiten Arbeitsschritt ein Negativ abgeformt werden. Erst der dann folgende harte, aus dieser Matrize gewonnene Gipsguss ist haltbar. Während der avantgardistischen Phase von 1925 bis 1934 bedeutete das Modellieren primär die Verwirklichung von Formen und Konzepten, die Alberto in der Phantasie entwickelt hatte. Die Plastiken zeigen noch kaum Spuren manueller Tätigkeit. Dem Geschmack des Art déco oder des Surrealismus entsprechend, erschien der Gips oder die von einem Kunsttischler aus Holz angefertigte Version als das finale Objekt. Die Bronzen dieser Werke wurden mit wenigen Ausnahmen erst ab den fünfziger Jahren gegossen.

Tatsächlich kommt die künstlerische Absicht bei Plastiken aus der Vorkriegszeit wie dem «Tête qui regarde» oder der «Femme couchée» nur in Gips voll zur Geltung. Bewusst hat Alberto die Bronze der «Femme couchée qui rêve» in einem matt polierten Weiss gefasst, das dem beliebten, von Innenausstatter Michel Frank um 1930 auch zu Dekorationszwecken eingesetzten veredelten Gips entspricht.

In anderen Fällen bringen die verschiedenen Materialisierungen unterschiedliche Qualitäten hervor: so erscheint das «Objet désagréable à jeter» in Gips wie ein Traumgebilde, während es in der schwarzen Bronze die Energie eines Bumerangs aus Ebenholz ausstrahlt.

Den «Cube» stellte sich Giacometti als hell strahlende, durchsichtige, von innen leuchtende Struktur vor und zugleich als massiven dunklen Polyeder, an Findlinge in Gebirgswäldern oder an einen grossen Kopf erinnernd. Dass von den wenigen avantgardistischen Gipsen des Nachlasses dieses Hauptwerk nach Zürich kommt, ermöglicht es, diese Polarität in direkter Anschauung zu erleben.

WECHSEL DER MATERIALISIERUNG IM REIFEN WERK Im reifen Werk verändern sich Giacomettis Absichten und Vorgehensweisen grundlegend. Er kehrte zur Figuration, zum Arbeiten vor dem Modell zurück. Nervös modellierten seine Finger in der Tonerde, sein Blick wanderte unruhig zwischen Skulptur und Modell hin und her. Mit diesem Prozess wollte er die Lebendigkeit seines Gegenübers einfangen. Das Ergebnis ist die vibrierend zerklüftete Oberfläche der Plastik. Die finale Ausformung dieses Verewigungsprozesses war für Alberto sicher die Bronze, aber da dieses Festhalten der lebendigen Gegenwart letztlich ein Ding der Unmöglichkeit war, wurde er nie fertig. Die Eröffnungstermine rückten näher, die Werke sollten in die Giesserei, doch Alberto hoffte, noch weiter zu kommen. Schliesslich wurden die Gipse, die er häufig mit rötlicher Farbe und schwarzen Linien bemalte, ausgestellt. Im Gegensatz zu den in sich ruhenden Bronzen, die oft erst wesentlich später realisiert wurden, erscheinen diese Figuren fast als etwas Geisterhaftes oder gar Gespenstiges.

EXPERIMENTELLE ARBEITEN Unter den Gipsen des Nachlasses befinden sich etliche Plastiken, die Alberto trotz ihrer Qualität weder zeigen wollte, noch giessen liess. Darunter sind Portraits, die er in den zwanziger Jahren von Familienangehörigen schuf. Er erprobte hier unterschiedliche Stile, etwa des Art déco oder der eher klassischen grossen Formen von Despiau oder Maillol. Diese und andere in Stampa oder Maloja entstandene Skulpturen sind oft direkt in Gips gearbeitet, denn im Gebirge war Ton schwer erhältlich und schlecht feucht zu halten, während Gips auf jeder Baustelle greifbar und leicht zu konservieren war. Andere Köpfe stammen aus der Zeit nach 1935, als er zur Figuration zurückkehrte und sich auf der Suche nach einer neuen Unmittelbarkeit von allem Vorwissen befreien wollte. Die letzten Versuche stammen aus der Nachkriegszeit.

PUBLIKATION Die Fotografien von Ernst Scheidegger halten die Erinnerung an viele bisher nicht gezeigte Objekte wach. Aus Anlass der Ausstellung wird im Verlag Scheidegger & Spiess ein Buch mit einer Auswahl seiner im Verlauf von über zwanzig Jahren entstandenen Atelieraufnahmen erscheinen.

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Alberto Giacometti - Die Originalgipse