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Der Forscher im Raum der kalkulierten Bilder

Es waren die strukturalistischen Sprachforscher, die im 20. Jahrhundert beschlossen haben, das Phänomen der Sprache in seine kleinsten Elemente zu zerlegen, in bedeutungstragende und bedeutungsunterscheidende Einheiten. So gelänge es besser, nach der systematischen Auffassung der Strukturalisten, dieses völlig vertraute und von allen benutzte Instrument unserer Kommunikation zu erforschen. Neben den Forschern traten die Dichter auf den Plan, die mit dem Rohmaterial der Sprache, ihrem Klang, experimentierten und auf ihre Weise konkrete Poesie schufen, indem sie die eigenen ästhetischen Qualitäten dieser kleinsten Elemente herausarbeiteten.

Zwar setzt sich der Fotograf und Künstler Adrian Sauer nicht mit der verbalen Sprache auseinander, doch mit der neuen digitalen Welt der Bilder widmet er sich einem anderen, immer wichtiger werdenden Feld unserer Kommunikation – und er tut dies auf eine Weise, die mit den verschiedenen Methoden der Sprachwissenschaft vergleichbar ist.

Während er sich in einigen Arbeiten auch der semantischen und pragmatischen Dimension des Einsatzes von Bildern widmete – wie werden Bilder in einem bestimmten Kontext verwendet und gelesen – so liegt sein hauptsächliches Augenmerk auf der „Morphologie“ des digitalen Bildes, seiner „Formenlehre“: Wie setzt es sich in seinen kleinsten Teilen zusammen? Wie gelingt die Übersetzung der sichtbaren, physischen Realität in ein gespeichertes, berechnetes Bild? Was leisten die Raster der neuen optischen Apparate?

Die künstlerische Arbeit Adrian Sauers stellt somit die Fragen nach den Grenzen des „Abbildes“ in einer Zeit, in der die Kamerabilder mehr und mehr zu hybriden Konstrukten werden, zwischen Lichtmessung und mathematischer Neuberechnung. Auf provokative Weise erinnern manche seiner Arbeiten zunächst an technische Testbilder, und doch schreiben sich diese Fragestellungen in die Sprache und Tradition einer konkreten und generativen Fotografie ein. Jene Tendenz einer abstrakten Kunst, die seit dem großen ungarischen Konstruktivisten László Moholy-Nagy versucht, die sklavische, abbildende Qualität der Fotografie aufzugeben und eine autonome Produktion von Bildern an die Stelle der Reproduktion setzten (so sein berühmtes Begriffspaar aus den 1920er Jahren).

In seiner neuesten Arbeit Schwarze Quadrate führt Adrian Sauer den Umstand, dass die heutigen digitalen Kameras einen Teil des Bildes errechnen – also erfinden –, deutlich vor Augen. Je genauer die Struktur des Motivs mit jener der Apparatur in Deckung gebracht wird, desto geringer ist die Übereinstimmung des entstehenden Bildes. Die Grenze der abbildenden Qualtiät der digitalen Apparate scheint hier überraschend als Beginn eines „autonomen“ Bildes auf.

Ein weiteres Feld von Adrian Sauers Arbeit ist die Frage nach einer zeitgemäßen Form der „abstrakten Genese“ von Bildern. Etwas zugespitzt formuliert: Was ist heute an Jackson Pollocks „Dripping“ der 1950er Jahre getreten? Digitale Bilder sind errechnete Bilder, und so ist der Zufall aus ihnen ausgeschlossen. Sauers großes Tafelbild gradient repräsentiert den Versuch, die digital darstellbaren Farben nach ihrem Helligkeitswert zu sortieren.

Die modernen Bilder, so legen es die Arbeiten von Adrian Sauer nahe, gehorchen einem mathematischen, rein theoretischem Raum, einer Welt, die nicht aus konkreten physischen Körpern besteht, deren Schein die analogen Bilder zumindest noch widerspiegelten. Diesen Aufbruch in die Körperlosigkeit reflektiert wiederum Adrian Sauers Serie A—Z (Brockhaus). Diese besteht aus 38 Fotografien, auf denen die Karton-Schuber der Brockhaus Enzyklopädie zu sehen sind, wie es die sorgfältig bedruckte Rückseite verrät. Bis zum Jahr 2000 reichen die Ergänzungsbände, doch wird es keine neue Auflage der Printausgabe geben. Die Schachteln, von der Rückseite aufgenommen, sind vermutlich leer. Die weiße Oberfläche dieser Behälter und der helle Bildraum, in dem sie liegen, versinnbildlichen die Tatsache, dass die Wissensproduktion der Zukunft nicht mehr der Druckerschwärze bedarf, sondern vielmehr in den weißen Räumen der Rechner stattfinden wird. (Florian Ebner, 2012)

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Adrian Sauer
A–Z