press release only in german

Eröffnung: Sonntag, den 31. August 2008, 12:00 Uhr

Die xMittelstadt’, definiert als eine periphere oder provinzielle mittelgrosse Stadt, ist die Heimat von vielen und damit auch Projektionsfläche für Gefühle und Erfahrungen. Für einige ist sie ein Ort der Heiterkeit, Menschlichkeit oder Authentizität, für andere ist sie mit negativ beladenen Begriffen wie Isolation, Melancholie oder Langeweile verbunden. Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit wurde die Mittelstadt als soziokulturelles Phänomen von der Kulturtheorie und Stadtforschung bisher nur marginal behandelt. Stattdessen sind andere Formen der Urbanität wie Metropolen, World Cities und Zwischenstädte ins Zentrum der sozialwissenschaftlichen Forschung gerückt. Wenn man an aktuelle Ausstellungen denkt, welche den urbanen Lebensraum thematisieren, wird es offensichtlich: Fast ausnahmslos werden die aktuellen Veränderungen der globalen Metropolen untersucht und Kunst gezeigt, die aus diesem spezifischen Kontext hervorgeht oder diesen reflektiert. Die Grossstadt wird als eine vibrierende, chaotische, unberechenbare, hybride Realität zelebriert, als die Mutter aller Kreativität, eigendynamisch und angereichert mit zukunftsweisenden Ideen. Bisher gab es keinen ernsthaften Versuch in Form einer Ausstellung um ein neues Verständnis zu kreieren, eine Schilderung oder entsprechende Darstellung von kleineren Städten zu wagen.

«A Town (Not a City)» ist eine Ausstellung, die einen Beitrag zum Verständnis der sich stetig verändernden Beziehung des Individuums zum urbanen Leben leisten will. Dies geschieht durch die Untersuchung von positiven und negativen Elementen, die für eine Mittel- und Kleinstadt im Gegensatz zu einer Metropole charakteristisch sind. Das Projekt folgt der Annahme, dass eine Ausstellung das adäquate Medium sei um die Erfahrungen und Gefühle zu verdichten, die einen mittelstädtischen Raum kennzeichnen, weil sie kaum die Komplexität einer Grossstadt ausdrücken kann. Es liegt die Vermutung nahe, dass dieser Massstabwechsel eine griffigere und präzisere Plattform für die künstlerische Praxis anbietet. In der Mittelstadt treten beispielsweise bestimmte öffentliche Räume als soziale Orte deutlicher hervor, es existieren hier stadtbekannte Persönlichkeiten oder die Wahrscheinlichkeit sich mehrmals am Tag zu begegnen ist um einiges grösser als in einer Grossstadt.

Die Stadt St. Gallen verteilt sich auf einer Fläche von ca. 40 km2 mit einer Bevölkerungsstärke von 75'000 Einwohnern und eignet sich durchaus als Fallbeispiel für eine moderne Mittelstadt. Sie bietet einen idealen Untersuchungsrahmen um die Charakteristika einer peripher gelegenen Stadt herauszuarbeiten, die sich im Geflecht der globalen Kräfte behaupten will und muss. Einerseits kann St. Gallen seiner Bevölkerung das idyllische Kleinstadtleben bieten und will sich andererseits eine Schlüsselstellung als Wirtschaftsstandort in einer globalisierten Welt sichern.

Modellhaft betrachtet kann diese Stadt ihre BewohnerInnen nostalgisch stimmen, wenn sie diese verlassen haben; sie kann ein Ort sein, an welchem man sein ganzes Leben bequem verbringt; sie kann auch eine ideale Stadt sein, in die man zieht um seine Lebensqualität zu erhöhen. Zugleich – und vor allem aus der Sicht von Jugendlichen – kann diese Art von Stadt aber auch als zu apathisch, langweilig und hoffnungslos im Vergleich zu einer Grossstadt empfunden werden.

Dennoch, «A Town (Not a City)» ist keine Ausstellung über St. Gallen. Um der Falle einer realitätsgetreuen Dokumentation und dem Risiko der Erfindung lokaler Identität, welche ein solches Projekt in sich birgt, zu entkommen, soll die Ausstellung dynamisch zwischen dem Spezifischen und Allgemeinen schwingen: Gleichzeitig die St. Galler Eigenheiten andeuten und die Mittelstadt als abstrakte Idee darstellen.

Aus diesem Grund bindet «A Town (Not a City)» mehrere historische Arbeiten ein, die nicht in Bezug auf St. Gallen geschaffen wurden und sich stattdessen auf andere Städte in verschiedenen Zeitabschnitten beziehen: Brüssel in den 60er-Jahren repräsentiert durch Chantal Akerman, die Vorstädte von London in den 70er-Jahren dokumentiert durch Stephen Willats, Antwerpen in den 80er-Jahren übersetzt durch Maria Nordman und Zürich’s Agglomerationen in den 90er-Jahren fotografisch erfasst durch Fischli/Weiss. Diese Werke führen thematisch in die Ausstellung ein und zeigen verschiedene künstlerische Herangehensweisen sich mit dem urbanen Kontext zu beschäftigen. Neben diesen sind neue Produktionen von lokalen und internationalen KünstlerInnen eigens für die Ausstellung entstanden, die in St. Gallen geforscht, den Ort erkundet und eigenwillige Antworten bezogen auf das Konzept der Ausstellung formuliert haben. Zu diesen gehören: Die Ostschweizer Karin Bühler und Georg Gatsas, die in Paris lebenden Künstler Katinka Bock und Guillaume Leblon, der Amerikaner Oscar Tuazon und die Auslandschweizer Luca Frei und Erik Steinbrecher.

Mittels der künstlerischen Untersuchungen der Mittelstadt als spezifischem Lebensraum möchte «A Town (Not a City)» bei der lokalen Bevölkerung ein Nachdenken über das eigene Verständnis von der Stadt anregen, welches im Idealfall zu einer Erweiterung der eigenen Wahrnehmung im Stadtraum führen kann. Darüber hinaus ist es ein formuliertes Ziel der Ausstellung, zum einen die Rolle der Kunst Halle als spezifischen räumlichen und sozialen Ort hervorzuheben, und zum anderen die Fähigkeit der Gegenwartskunst als Katalysator für die Vorstellungskraft der Zivilgesellschaft und ihre unersetzbare Funktion in der öffentlichen Debatte zu unterstreichen.

Gruppenausstellung mit: Chantal Akerman (B), Katinka Bock/Guillaume Leblon (D/F), Karin Bühler (CH), Luca Frei (CH), Georg Gatsas (CH), Maria Nordman (D), Erik Steinbrecher (CH), Oscar Tuazon (USA), Fischli/Weiss (CH), Stephen Willats (GB)

Kuratiert von Thomas Boutoux und Giovanni Carmine